Es gibt einen gewissen Punkt im Leben, an dem man glaubt einigermaßen zu wissen, wer man eigentlich ist. Oder man hat irgendwann einfach aufgehört darüber nachzudenken. Wie über den Tod und das Leben. Früher, als man jung war, hat man sich immer gefragt, was eigentlich nach dem Tod passiert und sich mit einem beklemmenden Gefühl vor Augen geführt, dass alles auch schlichtweg vorbei sein kann. Irgendwann wurden diese Gedanken aber seltener. „Andere denken da bestimmt auch nicht drüber nach!“ oder „Ist ja noch lange hin, was soll ich mir jetzt darüber den Kopf zermartern?“, so hat man sich selbst gerechtfertigt und das Problem einfach beiseitegeschoben, wie heute den Klimawandel oder wichtige Wahlen. Als ob Donald Trump wirklich Präsident werden würde!

So war es auch immer mit der Frage, wer man eigentlich ist. Und sie lässt sich für einen Großteil der Bevölkerung allgemein beantworten: Jemand, der zur Schule gegangen ist, studiert oder eine Ausbildung gemacht hat, einen Job, vielleicht auch eine Familie hat, sich gelegentlich mit Freunden in einer Bar auf einen Gin Tonic oder Moscow Mule – die Feierabendbiere der heutigen Zeit – trifft und seinen Alltag in ein paar Sätzen beschreiben kann. Vielleicht war der ein oder andere noch in Australien oder Neuseeland, mehr aufgrund eines Hypes statt der eigenen Begeisterung für diese Länder. Aber wofür können wir uns abgesehen von neuen Snapchat-Stickern oder Ryan Gosling-Filmen überhaupt noch begeistern? Wofür brennen wir? Wir leben in einer Welt, in der all die Möglichkeiten, die uns offenstehen, verhindern zu definieren, wer wir eigentlich sind. Wir gehen unter in einem gesellschaftlichen Einheitsbrei, in dem wir gut mitlaufen, aber nie herausstechen können. Wir alle sind ein bisschen Feministin, Veganer, Fitness-Experte (wobei Fitness heute Body Positivity heißt), reisebegeistert, Familienmensch, Karrierefrau, Instagrammer, Real-Life-Verfechter, Party-Queen, Netflix-Addict, Strand- und Berge-Typ. Im Jahr 2017 gibt es keine Schubladen mehr, sondern eine große Wühlkiste, wie auf Flohmärkten oder Second-Hand-Läden – den Boutiquen von heute -, in der jeder irgendwo seine Nische findet. Allein sind da die wenigsten, individuell aber leider auch.

Warum sind wir heute so gehemmt unsere Persönlichkeit zu finden? Anzuecken, zu widersprechen und zwar nicht in Form von Statement-Prints oder Hashtags, sondern mit Taten und echter Leidenschaft. Wir sollten keine Angst davor haben, anders und vermeintlich nicht konform zu sein. Wir wollen an einem Freitagabend allein auf der Couch sitzen anstatt zu der coolen Party zu gehen? Gut! Wir trinken in einem süßen Café alleine einen Kaffee ohne alibi-mäßig in unsere Handys zu starren, um möglichst beschäftigt zu wirken? Okay! Alleine zu einer Ausstellung oder ins Kino? Warum nicht! Lieber ein Leben lang als Kellner über die Runden kommen, als groß Karriere zu machen? Wer hat das Recht darüber zu urteilen?

Wir sollten aufhören zu glauben, dass wir, wenn wir uns für einen Weg entscheiden, etwas Anderes verpassen könnten. FOMO („Fear of Missing out“) ist die aktuelle Generationskrankheit – die neue Beziehungsunfähigkeit quasi – und Orientierungslosigkeit ihre direkte Konsequenz. Denn wer die ganze Zeit darauf bedacht ist den möglichst besten Weg einzuschlagen, jede Kreuzung mitzunehmen, sich zusätzlich noch auf sein Umfeld konzentriert und darauf niemals allein zu gehen, der verliert sein Ziel aus den Augen. Und wenn wir das nächste Mal gefragt werden, wer wir eigentlich sind, haben wir vielleicht immer noch keine Antwort. Aber zumindest haben wir dann darüber nachgedacht, was die Frage eigentlich bedeutet.

 

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